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21. November 2009

Sprachlos

Heute mal ein Thema, zu dem ich wirklich nicht weiß, was ich sagen soll: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die durch § 130 Abs. 4 StGB unter Strafe gestellte Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung des nationalsozialistischen Regimes nicht gegen das Grundgesetz verstößt, obwohl es sich nicht um ein "allgemeines Gesetz" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG handelt. Man muss nur den Leitsatz des Urteils lesen, um zu erkennen, dass es sich hier in der Tat nicht um eine Entscheidung von der Stange handelt:
§ 130 Abs. 4 StGB ist auch als nichtallgemeines Gesetz mit Art. 5 Abs. 1 und 2 GG vereinbar. Angesichts des sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat, und der als Gegenentwurf hierzu verstandenen Entstehung der Bundesrepublik Deutschland ist Art. 5 Abs. 1 und 2 GG für Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft Grenzen setzen, eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze immanent.

8. Oktober 2009

Agrigento locuta, Roma locuta

Zwei unerwartete und erfreuliche Urteile gibt es aus Italien zu vermelden:

23. April 2009

Schmerzensmann Klinsmann

Nun darf die taz ihn also weiterhin am Kreuze hängend darstellen, den entzauberten Wunderklinsi. Erlaubt hat dies, ausgerechnet, ein Gericht aus der Diaspora der christenverhöhnenden Ausübung der Meinungs- und Pressefreiheit, das Landgericht München I[1]. Wie bei taz-Rechtsanwalt Eisenberg nachzulesen ist, hat sich das Gericht dabei nicht nur im Ergebnis der Argumentation der taz angeschlossen, sondern macht sich auch in der Begründung um die humoristisch angehauchte Dokumentation der Causa verdient. Einige Auszüge (Hervorhebungen und Anmerkungen in eckigen Klammern von mir):
Die Antragsgegnerin [taz] weist [...] darauf hin, dass ihre Veröffentlichung ironisch zu verstehen sei. Der Antragsteller werde nur im übertragenen Sinn an das Kreuz genagelt. Ein Ärgernis brauche einen, der sich ärgert. Insofern habe sie beim Antragsteller [Klinsmann] Glück gehabt. Sie habe jedoch weder den Antragsteller, noch die religiösen Gefühle der Leser verletzen wollen.
Die Art der Darstellung ist dem Bereich der Satire bzw. der Karikatur zuzuordnen. Eine reale Kreuzigung des Antragstellers steht überhaupt nicht im Raum. Vielmehr wird der berufliche Niedergang des Antragstellers in symbolischer Weise dargestellt [...].
Gegenstand dieser Karikatur ist eine Meinungsäußerung. Kernaussage der Veröffentlichung ist die nach Auffassung der Antragsgegnerin bevorstehende Beendigung der Tätigkeit des Antragstellers als Trainer bei dem Fußballverein FC Bayern. Diese Einschätzung ist offensichtlich spekulativ, mithin derzeit einem Beweis nicht zugänglich. Ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit wird sich erst in der Zukunft herausstellen.
Der Antragsteller ist eine Person der Zeitgeschichte. [...] Er war nach seinem eigenen Vorbringen vor seiner Tätigkeit für einen bayerischen Fußballverein Trainer der Nationalmannschaft in Deutschland. Es ist gerichtsbekannt, dass Fußballspiele und die an ihnen teilnehmenden Personen einschließlich deren Trainer in den Medien und in der Öffentlichkeit größte Aufmerksamkeit genießen. Es vergeht schon kaum eine Nachrichtensendung, in welcher nicht auch über solche Themen berichtet wird.
Dieser Autor und womöglich der ein oder andere Leser fühlt sich an längst vergessene Entscheidungen bayerischer, vor allem unterfränkischer, Gerichte erinnert, die Rechtstreitigkeiten um die Reichweite der Meinungsfreiheit ebenfalls zum Anlass genommen haben, selbst ein wenig satirisch in die Vollen zu hauen. Schön, dass die bayerische Justiz diese Tradition nicht vergessen hat!

[1] Ja, München hat mehr als nur ein popeliges Landgericht. Nicht etwa weil man dort so reich ist, dass man sich zwei leisten kann kann. Auch nicht eines für Reich und eines für Arm. Sondern eines für München selbst (Stadt und Landkreis, um genau zu sein) und eines (München II) für den "Speckgürtel".Letzteres ist damit das einzige Gericht in Deutschland, das seinen Sitz außerhalb seines eigenen Gerichtsbezirks hat. Sachen gibt's...

3. März 2009

Nedap ade

Wieder einmal gibt es eine juristische Großtat des Bundesverfassungsgerichts zu vermelden: Der Einsatz von sogenannten "Wahlcomputern" verstößt - jedenfalls derzeit - gegen das Grundgesetz. Das Urteil stellt zutreffend fest, dass die Öffentlichkeit der Wahl eine Grundvoraussetzung für eine demokratische politische Willensbildung ist, die die Nachvollziehbarkeit der Wahlvorgänge und damit eine wesentliche Voraussetzung für das Vertrauen in den korrekten Ablauf der Wahl sichert. Oder mit anderen Worten:
Die Staatsform der parlamentarischen Demokratie, in der die Herrschaft des Volkes durch Wahlen mediatisiert, also nicht dauernd unmittelbar ausgeübt wird, verlangt, dass der Akt der Übertragung der staatlichen Verantwortung auf die Parlamentarier einer besonderen öffentlichen Kontrolle unterliegt. (Rn. 106, Hervorhebung nicht im Original)
Dem gibt es aus verfassungsrechtlicher Sicht wenig hinzuzufügen. Der tatsächliche Befund, dass die derzeit verfügbaren und verwendeten Geräte nicht im entferntesten eine für jedermann transparente Durchführung der Stimmabgabe und -auszählung gewährleisten können, führt damit notwendigerweise zu der Konsequenz, dass solche Geräte schlicht und einfach nicht eingesetzt werden dürfen. Das ist keine Technikfeindlichkeit von verstaubten Juristen, das ist praktizierte Transparenz.

Über die Macken und Probleme der Nedap-Maschinen hat u.a. Telepolis übrigens schon vor Jahren berichtet. Auch die filmische Demonstration, wie einfach die Dinger zu manipulieren sind, ist immer wieder eindrucksvoll:

Zur Befriedigung weitergehender Informationsbedürfnisse empfehle ich die ausführliche Zusammenstellung bei wahlrecht.de.

27. Februar 2009

Die Erben von Baum und Hirsch

Erinnert sich noch jemand an den quasi feststehenden Begriff aus früheren Zeiten "die FDP-Abgeordneten Baum und Hirsch", meistens verbunden mit der Nachricht über die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde gegen die Auswüchse des Überwachungsstaates? Ach ja, das waren noch Zeiten, als es in der FDP noch einen Baum und einen Hirsch gab...

Wir blenden über in die Gegenwart. Heute hat das Bundesverfassungsgericht das neue bayerische Versammlungsgesetz, das erste Landesgesetz zum Versammlungsrecht seit der Neuordnung der einschlägigen Gesetzgebungskompetenzen, in nicht unerheblichen Teilen einstweilen außer Kraft gesetzt (Pressemitteilung, Entscheidungstext). Die Entscheidung ist eine deftige Klatsche für das "eigenständige rechts- und ordnungspolitische Konzept" der Bayerischen Staatsregierung und ein Sieg für die Demokratie. Heribert Prantl sieht das, wie nicht anders zu erwarten war, genauso. Darauf einen Dujardin!

17. Februar 2009

Ein staatstragender Linker

Wäre Wolfgang Nešković eine Ein-Mann-Partei, ich würde ihn wählen. Nicht nur wegen seiner (zugegeben: dogmatisch weit hergeholten) Erfindung vom "Recht auf Rausch", die uns im Ergebnis die BVerfG-Rechtsprechung zur straffreien "geringen Menge" beim Betäubungsmittelkonsum beschert hat (BVerfGE 90, 145). Nicht nur weil er nach seiner Wahl zum Richter am Bundesgerichtshof erstmal eine Konkurrentenklage eines unterlegenen Interessenten durchstehen musste (ein BGH-historisch ziemlich einmaliger Vorgang, soweit ich weiß). Nicht nur, weil er als damaliges Mitglied der Grünen nach dem "Kosovo-Krieg" die Dinge beim Namen und den Außenminister Joseph Martin Fischer untragbar nannte. Nicht so sehr wegen der eher skurrilen Affäre um mutmaßliche "Wanzen" in seinem Abgeordnetenbüro. Ganz bestimmt aber wegen seinem prinzipientreuen Festhalten an den Grundfesten des rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Unbedingt lesen!

23. August 2008

Ein saufender, kiffender Kommunist

Die spinnen, die Römer! Ach nee, die Sizilianer.

Was ist passiert? In Catania hat ein Gericht einer Mutter das Sorgerecht für ihren 16-jährigen Sohn entzogen, weil dieser Mitglied der Kommunistischen Jugend ist. Fürwahr, ein Zeichen echter familiärer Verwahrlosung. Hoffentlich kann der Vater dem Bengel wieder etwas Verstand beibringen.

28. Februar 2008

Grundrecht erfunden, meistbietend abzugeben

Einen Tag lang dachte ich ja, ich wäre der einzige, der die Erfindung des neuen "Grundrechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme" durch das Bundesverfassungsgericht (Wortlaut) für nicht ganz so epochal und großartig hält wie die versammelten Meinungsführer in Politik und Medien. Jetzt habe ich aber gerade gesehen, dass der geschätzte Christian Rath in der heutigen taz ziemlich genau auf den Punkt bringt, was mir an dem Urteil nicht behagt: Wer eigentlich gibt dem BVerfG das Recht, einfach mal eben ein neues Grundrecht zu erfinden?
Natürlich ist es ein Grund zur Freude, dass dem Kontrollwahn von Schäuble und Co. zumindest ein kleiner Riegel vorgeschoben wird, und das Urteil ist rechtspolitisch wohlausgewogen und im Ergebnis zu begrüßen. Aber die vordergründige Freude über das Ergebnis wird von der klammheimlichen Sorge wegen des Weges dorthin doch etwas getrübt. Einerseits ist das BVerfG zu weit gegangen, indem es ein neues Grundrecht aus dem Hut gezaubert hat. Andererseits ist es nicht weit genug gegangen, indem es auch gleich eine wohldefinierte Schneise in dieses neue Grundrecht geschlagen und ganz konkret vorgegeben hat, unter welchen konkreten Voraussetzungen eine Einschränkung desselben dann doch wieder zulässig ist. Zwar sind die Hürden momentan recht hoch, und so kann man einstweilen, mit dem Ergebnis zufrieden sein. Aber das problematische an einem von der Verfassung nicht vorgesehenen Grundrecht ist halt, dass es von Verfassungs wegen auch keine klaren Kriterien für seine Einschränkung gibt. Die jetzt zusammen mit dem Grundrecht erfundenen Schranken mögen ein sinnvolles politisches Ergebnis darstellen. Letztlich aber wird hier dem gerade aus dem Hut gezauberten Kaninchen der Leib aufgeschnitten, um aus seinen Eingeweiden die Zukunft zu erkennen. Hoffentlich macht das nicht Schule.

13. Februar 2008

Schleswig-Holstein mal wieder

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Eigenschaft als Landesverfassungsgericht von Schleswig-Holstein (früherer Beitrag hierzu) heute verkündet, dass der Landtag von S-H die Rechte der beiden Antragsteller (Bündnis 90/DIE GRÜNEN sowie die Linkspartei) verletzt hat, indem er die bislang bestehende 5%-Hürde bei Kommunalwahlen nicht abgeschafft hat.
Über den materiellen Kern des Falles kann man trefflich streiten: Ist eine Sperrklausel (allgemeines hierzu bei wahlrecht.de) bei der Wahl kommunaler Vertretungsorgane gerechtfertigt und/oder notwendig, um einer Zersplitterung und damit Handlungsunfähigkeit des gewählten Organs vorzubeugen? Schon die Prämisse, dass eine "Zersplitterung" eines Vertretungsorgans notwendigerweise zu "Handlungsunfähigkeit" führt und daher zu unterbinden ist, halte ich für sehr fragwürdig. Ein bisschen lächerlich wird die Sache spätestens dann, wenn man argumentativ begründen muss, warum unter bestimmten Gegebenheiten, Umständen und zeitlichen Zusammenhängen eine 5%-Hürde unbedingt, gerade noch, grenzwertigerweise oder letzten Endes dann doch nicht mehr zulässig ist. Und warum eine 5%-Hürde weniger oder mehr verfassungskonform ist als eine 4%-Hürde (die gibt es in Österreich) oder eine 10%-Hürde (die gibt es in der Türkei), konnte mir auch noch niemand überzeugend erklären. Letztlich läuft es auf das Argument der Tradition hinaus. Der Wähler kennt die 5%-Sperrklausel und hat sich mit ihr abgefunden. Nicht so die kleinen Parteien, die natürlich ihren Wahlerfolg durch die Hürde gefährdet sehen.
Heute soll es aber gar nicht um Sinn und Unsinn der Sperrklausel als solcher gehen, sondern um die spezfische Situation, die dem aktuellen Urteil zugrunde liegt: Das BVerfG hat nämlich dem Landtag von S-H zur Last gelegt, dass er die bestehende Sperrklausel nicht abgeschafft hat. Angriffspunkt der Klage ist also nicht eine konkrete gesetzliche Regelung, sondern ein Unterlassen des Gesetzgebers. Legt man einem Jurastudenten im zweiten Semester diese Konstellation vor, so wird er (so er ordentlich gelernt hat) die Auskunft geben, dass ein gesetzgeberisches Unterlassen grundsätzlich kein tauglicher Angriffspunkt für ein verfassungsgerichtliches Verfahren ist. (Außer in ganz schlimmen Fällen, z.B. wenn der Gesetzgeber es unterlässt, Abtreibungen unter Strafe zu stellen. Sorry, das war etwas Polemik zwischendurch.) Das BVerfG hat nun diesen Grundsatz zwar bekräftigt, aber gleich auch eine Ausnahme ausgemacht: Wenn nämlich der Gesetzgeber sich der streiterheblichen Frage ganz konkret im Form eines Gesetzentwurfes gewidmet und diesen im üblichen Verfahren beraten hat, ohne ihn dann eben letzten Endes auch zu verabschieden, dann kann dieses Nicht-Verabschieden vom Verfassungsgericht überprüft werden. Merke: Erst dann meckern, wenn der Landtag deinen Gesetzentwurf auch wirklich beraten und abgelehnt hat.

20. Dezember 2007

Ein Lehrstück in Geographie und Parlamentarismus

Preisfrage: Wo hat das Verfassungsgericht des Landes Schleswig-Holstein seinen Sitz? Antwort: In Karlsruhe!

Art. 99 des Grundgesetzes erlaubt es den Ländern, sich das Bundesverfassunsggericht für Verfassungsstreitigkeiten innerhalb des Landes sozusagen auszuleihen. Das BVerfGG wird dann insoweit als Landesverfassungsgericht eines Bundeslandes tätig. Von dieser Möglichkeit macht das Land Schleswig-Holstein als einziges seit vielen Jahren Gebrauch. Aufgrund einer im Jahr 2006 erfolgten Neufassung von Art. 44 der Landesverfassung sollte zwar eigentlich ein eigenes Landesverfassungsgericht errichtet werden, aber damit haben sie es im Norden offensichtlich nicht so eilig. Einstweilen nimmt das BVerfG also weiterhin seine Aufgaben als "SH-LVerfG" wahr.

In dieser Eigenschaft musste es kürzlich über die Klage eines (ehemaligen) Landtagsabgeordneten entscheiden, der sich dagegen wehrte, dass der Landtag ein bereits beschlossenes und von der Ministerpräsidentin unterschriebenes Gesetz zur Neuregelung der Abgeordnetenentschädigung (vulgo: Diäten) aufgrund massiven öffentlichen Drucks (vulgo: BILD) wieder zurückgenommen hatte. Diese staatsorganisationsrechtlich nicht ganz uninteressante (für die Praxis aber wohl komplett irrelevante) Frage wurde letztlich aber nicht beantwortet, denn der Landtag war dem Kläger zuvorgekommen und hatte zwischenzeitlich "sein damaliges Bestreben wieder aufgenommen, die Abgeordnetenentschädigung verfassungsgemäß auszugestalten" (Zitat BVerfG). Rechtschutzbedürfnis entfallen, Klage erledigt. Schade eigentlich.

6. März 2007

Regionale Unterschiede und Kinderzahl bei der Beamtenbesoldung

Anno 1998 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass der Staat bei der Beamtenbesoldung nach der Zahl der Kinder differenzieren und die finanzielle Benachteiligung kinderreicher Beamtenfamilien durch Familienzuschläge ausgleichen muss. Geklagt hatten seinerzeit mehrere Beamte mit mehr als zwei Kindern, die durch die Nichtberücksichtigung ihrer entsprechend höheren Lebenshaltungskosten das Alimentationsprinzip verletzt sahen. Das BVerfG gab ihnen recht.

Heute nun entschied das BVerfG, dass der Staat bei der Beamtenbesoldung nicht berücksichtigen muss, dass die Lebenshaltungskosten in Großstädten zum Teil erheblich über denen auf dem Land liegen. Geklagt hatte ein Beamter aus München, der sich durch seinen dienstlich bedingten Umzug nach München (Residenzpflicht!) im Vergleich zu Kollegen in billigeren Regionen finanziell benachteiligt sah. Ihm sprang das BVerfG nicht zur Seite.

Lässt man einmal die ganzen Feinheiten beider Fälle außer acht (insbesondere die Auswirkungen des grundrechtlich garantierten Schutzes der Familie, der natürlich im ersten Fall auch relevant war), so fällt mir im Vergleich dieser beiden Fälle das nackte Fazit ein: Der Staat haftet nicht für Einkommensunterschiede seiner Beamten, die er durch die Versetzung an einen teureren Dienstort selbst verursacht hat. Er muss aber Einkommensunterschiede infolge der Anzahl der Kinder ausgleichen, die auf einer autonomen Entscheidung des Einzelnen beruhen. Dann kann man ja nur noch hoffen, dass diese ganzen Beamtenkinder wenigstens nicht ihrerseits Beamte werden, sondern brav in die Rentenkasse einzahlen.

PS: Von den Richtern der 98er-Entscheidung waren zwei (Herr Hassemer und Frau Osterloh) auch an der heutigen Entscheidung beteiligt. Seinerzeit entschied der Senat einstimmig, heute mit zwei Gegenstimmen. Ein Schelm, wer böses dabei denkt.

2. März 2007

Künstliche Befruchtung

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Verfahren der konkreten Normenkontrolle entschieden, dass die gesetzlichen Krankenkassen nur verheirateten Paaren eine künstliche Befruchtung zahlen müssen. Eine entsprechende Regelung im Sozialgesetzbuch (§ 27a Abs. 1 Nr. 3 SGB V, um genau zu sein) sei verfassungsgemäß.

Interessant finde ich an diesem Fall die Detailtreue, mit der das BVerfG den Streitgegenstand eingrenzt: So wird zunächst ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nur um Nr. 3 des § 27a Abs. 1 SGB V gehen kann, da Nr. 4 (worin die heterologe Insemination ausgeschlossen wird) im Vorlagefall nicht entscheidungserheblich war.

Das ist an sich noch nichts besonderes. Das vorlegende Sozialgericht Leipzig hatte hier ein kleines bisschen geschlampt, indem es im Vorbeigehen auch eine Vorschrift zur Prüfung vorgelegt hatte (eben die genannte Nr. 4), auf die es im konkreten Fall gar nicht ankam. Das einzig bemerkenswerte daran ist, dass sich beim BVerfG zuverlässig immer ein cleverer Mitarbeiter findet, der solche kleinen Unaufmerksamkeiten rausfiltert und dafür sorgt, dass das Gericht nicht aus Versehen die falsche Frage beantwortet. Dafür muss man die Damen und Herren im Dritten Senat in fachlicher Hinsicht wirklich bewundern.

Wirklich interessant ist aber der folgende Absatz:
Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung ist im Übrigen nicht die Frage, ob eine künstliche Befruchtung bei nicht miteinander verheirateten Paaren durchgeführt werden darf. Das Grundgesetz steht einer solchen medizinischen Maßnahme unzweifelhaft nicht entgegen. Zu entscheiden ist im Rahmen der Vorlage ausschließlich darüber, ob der Gesetzgeber die Leistungen der Krankenversicherung aus Anlass einer künstlichen Befruchtung auf Ehepaare beschränken darf.
Einem regelmäßigen Leser der Entscheidungen des BVerfG springt dieser Absatz ins Auge. Denn es ist selten, dass das Gericht sich die Mühe macht, ausdrücklich darauf hinzuweisen, um was es gerade nicht geht. Wenn so etwas einmal passiert, dann eher in Fällen, in denen diese Frage nicht ohne weiteres ersichtlich ist oder zuvor von einem der Beteiligten problematisiert wurde. (Im vorliegenden Fall wäre ich nach Lektüre des Urteils bis zu dieser Stelle nie auf die Idee gekommen, dass es in dem Verfahren auch um die Zulässigkeit einer "außerehelichen künstlichen Befruchtung" als solche gehen könnte. Angesichts der eindeutigen Vorlagefrage ist dieser Gedanke doch eher abseitig, zumal keiner der Beteiligten irgend etwas in diese Richtung geäußert hat.) Der Gipfel ist aber, dass das BVerfG gleich im Anschluss an die Feststellung, dass es sich nicht mit der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der außerehelichen künstlichen Befruchtung befassen wird, genau diese Frage ohne jegliche inhaltliche Begründung ausdrücklich und eindeutig beantwortet. Rhetorisch finde ich das sehr pfiffig, ansonsten ist es einfach nur Show, und die hat in BVerfG-Urteilen nichts verloren.

18. November 2005

Neues zur Meinungsfreiheit?

Die Hohepriester des Grundgesetzes (sprich: das Bundesverfassungsgericht) haben mal wieder Recht gesprochen, und siehe da, sie erkannten folgendes für Recht: Dass man den vormaligen bzw. noch amtierenden Konsistorialratspräsidenten, Ministerpräsidenten und Bundesminister nicht einen "Stasi-IM" schimpfen darf. Genauer: Man darf ihn schon so nennen, sich dann aber nicht wundern, wenn er dagegen gerichtlich vorgeht und in letzter Instanz schließlich obsiegt. Der Bundesgerichtshof war hier noch zu einem anderen Ergebnis gekommen und hatte geurteilt, dass die Meinungsfreiheit gebiete, dass Herr Stolpe derlei Aussagen dulden müsse.

Selbst ohne eingehende Lektüre der Entscheidungen aller Instanzen (die Entscheidung des BVerfG steht hier, die Vorinstanzen dürften in der Literatur veröffentlicht sein) staunt der Rechtskundige über diesen Verfahrensgang. Üblicherweise ist es nämlich so, dass die Untergerichte bis hinaus zum BGH der Meinungsfreiheit ein (nach Ansicht des BVerfG) zu geringes Gewicht zumessen und sich dann vom BVerfG belehren lassen müssen, dass sie in ungerechtfertigter Weise die Meinungsfreiheit eingeschränkt haben. Dies ist der erste mir bekannte Fall, in dem der BGH die Meinungsfreiheit nach Ansicht des BVerfG zu großzügig ausgelegt hat.

Was lernen wir daraus? Selbst die bekannte verfassungsgerichtliche Maxime "Im Zweifel für die Meinungsfreiheit" scheint der obersten Rechtsregel zu unterliegen, welche da lautet: "Das kommt darauf an."