21. November 2009

Sprachlos

Heute mal ein Thema, zu dem ich wirklich nicht weiß, was ich sagen soll: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die durch § 130 Abs. 4 StGB unter Strafe gestellte Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung des nationalsozialistischen Regimes nicht gegen das Grundgesetz verstößt, obwohl es sich nicht um ein "allgemeines Gesetz" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG handelt. Man muss nur den Leitsatz des Urteils lesen, um zu erkennen, dass es sich hier in der Tat nicht um eine Entscheidung von der Stange handelt:
§ 130 Abs. 4 StGB ist auch als nichtallgemeines Gesetz mit Art. 5 Abs. 1 und 2 GG vereinbar. Angesichts des sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat, und der als Gegenentwurf hierzu verstandenen Entstehung der Bundesrepublik Deutschland ist Art. 5 Abs. 1 und 2 GG für Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft Grenzen setzen, eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze immanent.
Was soll man dazu sagen, als Jurist und als Mensch? Das Grundgesetz enthält eine Ausnahme von einer Regel, die sowieso schon so knifflig und so gut versteckt war, dass das BVErfG sie erst in seiner epochalen Lüth-Entscheidung (BVErfGE 7, S. 198) herausschälen und anschließend über Jahrzehnte entwickeln (und immer mal wieder gegen die Instanzgerichte verteidigen) musste? Neben der Meinungsfreiheit ist plötzlich auch der Antifaschismus schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Staatsordnung des Grundgesetzes - so schlechthin konstituierend gar, dass er es rechtfertigt, eine hakenkreuzförmige Delle im Schutzbereich der Meinungsfreiheit zu finden? Das ist, salopp gesagt, harter Tobak! Und entgegen ständiger Übung in diesem Blog fällt es mir bislang außerordentlich schwer, mir dazu eine abschließende Meinung zu bilden.
Mit dieser intellektuellen Schockstarre bin ich gottseidank nicht ganz allein. Auch die online veröffentlichte Meinung ist gespalten: Während Max Steinbeis das Urteil in seinem Verfassungsblog als "epochal" feiert (mit offenbar zustimmender Verlinkung durch Richter Ballmann), sieht Christian Rath darin ein undemokratisches Zwei-Klassen-Freund/Feind-Recht (Falsches Gesetz trifft die Richtigen, taz vom 18.11.). RA Thomas Stadler (Internet-Law) ist hin- und hergerissen, RA Udo Vetter hat sich noch gar nicht geäußert. Sicher ist einstweilen nur: Quod licet Jovi, non licet bovi.

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