24. Oktober 2009

95 Thesen gegen die Realität

So einen kapitalen Blödsinn wie "95 Thesen gegen die Evolution" habe ich wirklich schon lange nicht mehr gesehen. Der sogenannte "Streit" zwischen der anerkannten wissenschaftlichen Theorie der Evolution und der nicht ganz so anerkannten pseudo-wissenschaftlichen Theorie des "Design" (in welcher Variante vom ehrlichen Kreationismus bis zum "Intelligent Design" auch immer) tobt in Übersee ja schon seit einer Weile und schwappt gelegentlich auch bis zu uns rüber. Eine illustre Runde aus Juristen, Theologen und sogar einigen offenbar naturwissenschaftlich vorgebildeten Menschen hat sich nun daran gemacht, das deutschsprachige Publikum mittels einer beeindruckenden Liste von 95 Thesen (historische Anspielung weder zufällig noch unerwünscht) vom Irrsinn der Evolution zu überzeugen. Also auf zur Märchenstunde! Hier sind einige der schönsten Stilblüten (ganz subjektiv ausgewählt natürlich) aus dem Werk:
Als Fliegen und Mücken nach einer gewissen Zeit gegen das Insektengift DDT resistent wurden, hat man darin einen Beweis für Evolution gesehen. Darauffolgende Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass es seit jeher genetische Varianten von DDT-resistenten Insekten gegeben hat. Alle heute resistenten Insekten sind Nachkommen dieser seltenen Varianten. Es ist schlicht so, dass die nicht resistenten Varianten weitgehend ausgestorben sind, während sich die resistenten weitervermehren konnten. (These 15)
Ja, so etwas nennt man halt Selektion. Der These liegt offensichtlich die Annahme zugrunde, dass Mutationen erst durch Selektionsdruck hervorgerufen werden. Das behauptet aber keiner.
Was ich mich außerdem frage: Mit welchen "Untersuchungen" sollte man Jahrzehnte nach dem erstmaligen Einsatz von DDT beweisen, dass es bestimmte Gen-Varianten schon davor gab? Hat man vor dem ersten DDT-Einsatz ein paar Mücken eingefroren, um später mal ihre DNA zu sequenzieren? Vermutlich steht schon im Alten Testament, dass einige Insekten DDT-resistent sind.
Untersuchungen an alten Sprachen zeigen, dass diese früher komplexer waren und mit der Zeit einfacher wurden. Für das alte Latein, Griechisch, Hebräisch, Chinesisch, indianische Sprachen etc. gilt: Soweit wir zurückblicken, konnte mit den frühen Sprachen der Menschheit mehr Information mit weniger Worten vermittelt werden, als das bei modernen Sprachen der Fall ist. Hinzu kommt, dass man mit diesen Sprachen präziser formulieren konnte. Das widerspricht der evolutionären Vorstellung der Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen. (These 91)
Hier wird mal wieder etwas "widerlegt", was niemand behauptet hat. Erstens ist es schon eine sehr gewagte Behauptung, die menschlichen Sprachen würden einfacher werden. Klar, Sprachen ändern sich im Laufe der Zeit ganz erheblich (ein antiker Sanskrit-Sprecher hätte mit modernem Englisch oder Chinesisch nicht nur wegen der fehlenden Vokabeln seine Probleme, auch die grammatikalischen Strukturen sind ziemlich unterschiedlich) - aber was bedeutet in diesem Zusammenhang "einfacher"? Persönlich fand ich ich Latein immer deutlich einfacher als Französisch, aber quantifizierbar ist das natürlich nicht.
Aber nehmen wir diese unsinnige Prämisse mal einen Moment für voll und gehen davon aus, dass die Sprachen immer simpler werden. Was folgt daraus? Dass die "evolutionäre Vorstellung der Entwicklung vom Einfachen zum Komplexen" falsch sei? Mitnichten. Selbst wenn es eine solche Vorstellung in der Evolutionstheorie gäbe (was spätestens seit Stephen Jay Gould überholt ist), würde sie nicht durch eine gegenläufige Entwicklung in einem ganz anderen Wissenschaftsgebiet widerlegt. Fazit: Man geht von einer nicht nur falschen, sondern schlicht unsinnigen Tatsachenbehauptung aus und folgert daraus, dass eine völlig unverwandte These, die sowieso niemand vertritt, widerlegt sei. "Südamerikanische Känguruhs sind intelligenter als die australischen. Damit ist bewiesen, dass Lebewesen in Wüstengebieten weniger zu Allergien neigen."
Unter dem Anthropischen Prinzip versteht man die unglaubliche Feinabstimmung der verschiedenen Naturkonstanten. Wenn auch nur einzelne der gut 40 bekannten Naturkonstanten minimal von ihrem jetzigen Wert abweichen würden, so wäre kein irdisches Leben möglich. Einige Wissenschaftler, die nicht an einen intelligenten Schöpfer des Universums glauben, helfen sich mit der sogenannten Multiversum-Theorie, der zufolge es unendlich viele Universen gibt und wir uns in genau demjenigen befinden, in dem Leben möglich ist. Mit dieser Theorie kann selbstverständlich alles und nichts bewiesen werden. (These 63)
Das ist nicht euer Ernst, oder? Das Universum existiert - unbestreitbar. Das Universum ist so gestaltet, dass man darin leben kann - auch das stimmt offensichtlich. Diese beiden Tatsachen sagen aber nichts, nichts und nochmal nichts darüber aus, warum dass so ist. Und übrigens: Selbst wenn am Anfang der Zeit ein allmächtiger Gott das Universum in einer Weise geschaffen hätte, dass es einige behagliche Plätze für biologisches Leben bereit hält, dann würde das nicht beweisen, dass er/sie/es auch das Leben geschaffen hätte. Vielleicht hat er/sie/es nur einfach die physikalischen Randbedingungen gesetzt und sich dann gemütlich zurückgelehnt, um der jahrmilliardenlangen Entwicklung des Lebens zuzusehen.

Mein absoluter Liebling ist These 6:
Unter Biodiversität versteht man die Vielfalt der Pflanzen- und Tierarten, die Vielfalt innerhalb der Arten und die Vielfalt von Ökosystemen. Ebenso wie der menschliche Körper von der Arbeitsteilung einer Vielzahl von Zellen und Organen abhängig ist, ist auch ein Ökosystem von der Aufteilung der Arbeit durch Biodiversität abhängig. Aus diesem Grund ist das Szenario einer allmählichen Evolution, die mit einer einzelnen Zelle begonnen haben soll, wirklichkeitsfremd. Es ist denkbar, dass die Ökosysteme, in denen wir heute leben, in sehr kurzer Zeit - womöglich innerhalb von wenigen Tagen - zusammengestellt werden mussten.
Und was hat dieses Gelalle mit einer Widerlegung der Evolutionstheorie zu tun? Einen solchen logischen Wirrsinn hätte man einem mittelalterlichen Bettelmönch nicht durchgehen lassen!

Ich wette, das kann ich auch! Aufgepasst...
Unter einer Bibliothek versteht man eine Zusammenstellung von Büchern und buchähnlichen Gebilden. Manche Bibliotheken sind von beeindruckender Komplexität und enthalten zahlreiche einzelne Bücher, die inhaltlich aufeinander aufbauen bzw. verweisen. Manche Büche können nur in einer ganz bestimmten Reihenfolge nacheinander gelesen werden. Meistens ist es sogar so, dass diese Bücher genau in der Reihenfolge erscheinen, die einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen ihren Inhalten ermöglicht. Eine Bibliothek ist ein Gesamtkunstwerk, die meisten einzelnen Bücher darin sind für sich genommen sinnlos. Eine Bibliothek aus nur einem Buch ist schlicht nicht vorstellbar, und noch nie konnte beobachtet werden, dass eine Bibliothek durch blanken Zufall aus den Nichts entsteht. Das beweist, dass Bücher durch unmittelbare Einwirkung einer höheren Macht entstehen.
Danke an Astrodicticum Simplex! (RSS-Feed)

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