21. November 2005

Definitionitis

Grad wenn man denkt, es geht nicht schlimmer, begegnet einem so etwas:
"Calendar Year" shall mean each successive period of twelve calendar (12) months commencing on January 1 and ending on December 31.

Gerade eben wörtlich in einem amerikanischen Vertragsentwurf entdeckt. Ich erschaudere vor Ehrfurcht...

18. November 2005

Neues zur Meinungsfreiheit?

Die Hohepriester des Grundgesetzes (sprich: das Bundesverfassungsgericht) haben mal wieder Recht gesprochen, und siehe da, sie erkannten folgendes für Recht: Dass man den vormaligen bzw. noch amtierenden Konsistorialratspräsidenten, Ministerpräsidenten und Bundesminister nicht einen "Stasi-IM" schimpfen darf. Genauer: Man darf ihn schon so nennen, sich dann aber nicht wundern, wenn er dagegen gerichtlich vorgeht und in letzter Instanz schließlich obsiegt. Der Bundesgerichtshof war hier noch zu einem anderen Ergebnis gekommen und hatte geurteilt, dass die Meinungsfreiheit gebiete, dass Herr Stolpe derlei Aussagen dulden müsse.

Selbst ohne eingehende Lektüre der Entscheidungen aller Instanzen (die Entscheidung des BVerfG steht hier, die Vorinstanzen dürften in der Literatur veröffentlicht sein) staunt der Rechtskundige über diesen Verfahrensgang. Üblicherweise ist es nämlich so, dass die Untergerichte bis hinaus zum BGH der Meinungsfreiheit ein (nach Ansicht des BVerfG) zu geringes Gewicht zumessen und sich dann vom BVerfG belehren lassen müssen, dass sie in ungerechtfertigter Weise die Meinungsfreiheit eingeschränkt haben. Dies ist der erste mir bekannte Fall, in dem der BGH die Meinungsfreiheit nach Ansicht des BVerfG zu großzügig ausgelegt hat.

Was lernen wir daraus? Selbst die bekannte verfassungsgerichtliche Maxime "Im Zweifel für die Meinungsfreiheit" scheint der obersten Rechtsregel zu unterliegen, welche da lautet: "Das kommt darauf an."

2. November 2005

Die Kunst der Fuge

Ups, nein, das war nur ein Kalauer. Ich bin leider völlig unmusikalisch...

Die Kunst der Definition

Die Rede soll nun sein vom Definitionsexzess. Was ist damit gemeint? Man definiert in einem Vertragstext gerne vorab alle wichtigen Begriffe, die dann in den vertraglichen Regelungen eine Rolle spielen. Das ist im Grunde durchaus sinnvoll, wenn es etwa um die genaue Abgrenzung des Vertragsgegenstandes geht.

Gelegentlich wird die Definitionitis aber bis zur Hysterie gesteigert. So vermag ich beim besten Willen keinen Sinn darin erkennen, einen Begriff zu definieren, der sowieso nur einmal im Text vorkommt. Ebenfalls überflüssig sind Definitionen, die nur die Wortbedeutung paraphrasieren oder Selbstverständlichkeiten festhalten. So käme wohl keiner auf die Idee, dass das Wort "Parteien" in einem Vertrag etwa anderes bezeichnet als die Vertragsparteien, selbst wenn es nicht ausdrücklich so definiert würde. Dass mit "Effective Date" das Datum des Inkrafttreten eines Vertrages gemeint ist und dass dieses in Ermangelung einer ausdrücklichen abweichenden Regelung identisch ist mit dem Datum der letzten Unterschrift, ist an sich auch so naheliegend, dass man es nicht gesondert erwähnen muss.

PS: "Definition" im Sinne dieses Beitrages ist die ausdrückliche Zuordnung eines Wortes und/oder einer Gruppe von Worten zu einem bestimmten sprachlichen und/oder juristischen Bedeutungsgehalt, der diesem Wort bzw. dieser Wortgruppe nach dem Willen der beteiligten Parteien bei jedem einzelnen Auftreten in einem bestimmten textlichen Gesamtzusammenhang, insbesondere, aber ohne darauf beschränkt zu sein, in einem Vertragstext, unabhängig vom grammatikalischen oder systematischen Zusammenhang beigemessen werden soll und nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien auch für jede den Text auslegende dritte Person, insbesondere, aber ohne darauf beschränkt zu sein, einen zur Entscheidung von sich aus der Anwendung des Textes ergebenden juristischen Streitfragen berufenen Richter oder Schiedsrichter, verbindlich sein soll.

Die Kunst der Auslegung

Der Jurist ist ein Meister der Wortes, und das Wort ist seine Waffe. Um zu vermeiden, dass die Waffe sich gegen den Schmied richtet, wird ihr Gebrauch genauestens reglementiert. Um sicherzustellen, dass man sich bei der Formulierung eines Vertrages keine Fallen gebaut hat, in die man nachher selbst tappen könnte, fügt man den eigentlichen Vereinbarungen noch ein paar Regelungen über die Auslegung der Vereinbarungen bei, die stellenweise umfangreicher sein können als der eigentliche Vertragstext.

Wie in dem vorangegangenen Beitrag über exzessives Definieren, so mag man sich auch bei allzu exzessiven Auslegungsregelungen fragen, ob man nicht besser die hierauf verwandte Formulierungskunst in die genauere Formulierung des eigentlichen Vertragstextes gesteckt hätte. Whatever, hier sind ein paar besonders gelungene Beispiele, heute mal wieder in der juristischen Lingua Franca Moderna, dem Englischen:
  • As used in this agreement and unless the context requires otherwise, the singular of any word includes the plural of such word, the plural includes the singular, the use of any gender is applicable to all genders, and the word "or" has the inclusive meaning represented by the phrase "and/or".
    Wow, das erschlägt einen ja förmlich. Und die Gummiklausel am Satzanfang stellt sicher, dass man sich trotz eindeutiger Auslegungsregel immer noch darüber streiten kann, ob nicht doch ein Ausnahmefall vorliegt. So etwas verdient eigentlich einen Pulitzerpreis.
    Übrigens: Bin ich der einzige, der bislang dachte, dass das Englische ohnehin nur ein grammatikalisches Geschlecht kennt?

  • Whenever this Agreement refers to a number of days, unless otherwise specified, such number refers to calendar days.
    Mein momentaner Liebling! Welche Tage sollten denn sonst gemeint sein?

  • As used in this agreement, the term "including" or "includes" means including without limiting the generality of any description preceding such term.
    Und das ist schon fast wieder kreativ, da es die beliebten WBLTs vermeidet.