7. Juni 2008

Jetzt wird's kompliziert

Die Diskussion der möglichen Obama-Vizes spare ich mir einstweilen für später auf. Heute befassen wir uns zunächst einmal mit dem National Popular Vote Interstate Compact. Was um alles in der Welt ist das denn?

Also von vorne: Mittlerweile hat sich ja herumgesprochen, dass die Amerikaner ihren Präsidenten nicht direkt wählen (wäre ja auch zu einfach), sondern jeweils pro Bundesstaat eine Gruppe von Wahlmännern bestimmen, die dann ihrerseits eine Präsidenten (und einen Vizepräsidenten wählen). Dieses Wahlmännerkollegium, das Electoral College (EC), ist vermutlich das ulkigste Staatsorgan in der westlichen Welt. Ähnlich wie die deutsche Bundesversammlung erfüllt sie nur den einzigen Zweck der Wahl eines Staastoberhaupts. Im Gegensatz zur Bundesversammlung tritt das EC aber noch nicht einmal tatsächlich zusammen. Es treffen sich lediglich die Wahlmänner eines jeden Bundesstaates in der dortigen Hauptstadt und geben ihre Stimme zu Protokoll. Diese Stimmabgabe wird dann von der Staatsregierung (typischerweise eine Aufgabe für den Secretary of State, der auf Staatsebene in etwa dem hiesigen Innenminister entspricht [während der Secretary of State des Bundes nichts anderes als der Außenminister ist - die spinnen, die Amis...]) nach D.C. gemeldet. Dort werden die Stimmen zusammengezählt und das Ergebnis verkündet.

Der Clou besteht nun darin, dass die Zahl der Wahlmänner pro Bundesstaat zwar zentral festgelegt ist. Sie entspricht der Zahl der Abgeordneten des Staates im Bundesparlament (Congress), also jeweils 2 (für die zwei Senatoren pro Staat) + x (für die x Vertreter des Staates im Abgeordnetenhaus. Wie die Wahlmänner gewählt bestimmt werden, ist aber jedem einzelnen Staat selbst überlassen! Jeder Bundesstaat hat eine eigene Regelung zur Wahl der Wahlmänner, und es ist reiner Zufall (oder eher: Ausdruck eines zeitgemäßen Anspruchs an eine Legitimation durch Volkswahl), dass heutzutage in allen Staaten die Wahlmänner per Wahl bestimmt werden. Früher war es durchaus nicht unüblich, dass die Wahlmänner vom Staatsparlament bestimmt wurden. Theroetisch könnte man auch vorsehen, dass die Wahlmänner ausgelost werden - aus Sicht der Bundesverfassung spräche jedenfalls nichts dagegen. Standard ist aber wie gesagt heutzutage die Wahl der Wahlmänner (en bloc, d.h. es stehen zwei oder mehr Gruppen von Wahlmännern zur Auswahl, die sich jeweils vorab einem bestimmten Kandidaten verschrieben haben). In Übereinstimmung mit dem auch ansonsten verbreiteten Mehrheitswahlrecht gilt dabei beinahe überall ein striktes "Winner takes all". Es gilt die einfache Mehrheit, alle Stimmen für die unterlegenen Kandidaten (genauer: für die Wahlmänner, die sich zur Wahl der unterlegenen Kandidaten verpflichtet hatten) fallen unter den Tisch. Die einzigen Ausnahmen sind Maine und Nebraska, wo ein etwas komplizierteres Verfahren zur Einzelwahl von Wahlmännern auf Wahlkreisebene gilt. In der Praxis haben allerdings auch Maine und Nebraska bislang immer einheitliche Wahlmännergruppen bestimmt, denn Maine ist ebenso solide demokratisch gesinnt wie Nebraska stockrepublikanisch ist. (Aber man merke sich diese Besonderheit. Irgendwann kommt bestimmt einmal eine Wahl, die so knapp ausgeht, dass es auf eine der Wahlkreisstimmen von Maine oder Nebraska ankommt. Dann geht das Theater erst richtig los...)

Soweit der Status quo. Dieses Verfahren sorgt dafür, dass der Präsidentschaftswahlkampf eine für unser Verständnis sehr merkwürdige Assymetrie entwickelt hat: Wahlgekämpft wird praktisch nur in den Bundesstaaten, in denen der Kandidat eine reelle Chance auf eine Mehrheit hat (swing states). Große Staaten wie Kalifornien (55 Wahlmänner, solide demokratisch) oder Texas (34 Wahlmänner, solide republikanisch) bleiben vom Wahlkampf weitgehend verschont, während mittelgroße wie Ohio (20 Wahlmänner) oder sogar kleine wie Nevada (3 Wahlmänner) heftig umworben werden. Die Wahlschlacht (sowohl medial als auch im Hinblick auf persönliche Auftritte der Kandidaten) konzentriert sich von Wahl zu Wahl mehr auf einige wenige Staaten. Mit welcher Mehrheit Kalifornien oder New York einen Demokraten wählen, ist völlig irrelevant, wenn es dem Kanidaten nicht zugleich gelingt, die Swing States zu erobern. Daher kann im Extremfall ein Kandidat eine Mehrheit im Electoral College gewinnen, ohne die Mehrheit der insgesamt abgegebenen Stimmen auf sich vereint zu haben. Zuletzt geschehen im Jahre 2000, die Älteren werden sich noch erinnern. Dass das heutzutage ein bisschen dem gesunden Volksempfinden widerspricht, wonach derjenige eine Wahl gewinnen sollte, der die meisten Stimmen hat, muss man nicht näher erläutern. Also gab es immer wieder Versuche, das Verfahren zu ändern und beispielsweise eine direkte Mehrheitswahl einzuführen. Da eine Änderung der Bundesverfassung sehr schwierig ist und gerade die kleinen Staaten, die im gegenwärtigen System überrepräsentiert sind, wenig Interesse an einer Änderung haben, wird es auf absehbare Zeit wohl nicht dazu kommen.

Als Erstzlösung kursiert seit einigen Jahren ein Plan, der so genial einfach ist, dass man ihn einfach als genial bewundern muss: der National Popular Vote Interstate Compact. In den eigenen Worten seiner Verfechter wird der Plan hier sehr gut erläutert, aber natürlich lasse ich es mir nicht nehmen, das Ding in aller Kürze auch vorzustellen. Der NPVIC ist ein Staatsvertrag zwischen beliebig vielen Bundesstaaten, in dem diese sich verpflichten, ihre Wahlmänner künftig nicht mehr nach dem Ergebnis in ihrem eigenen Staat zu vergeben, sondern nach dem landesweiten Ergebnis. Warum sollte ein Staat das tun? Weil andere es auch tun! Der Clou beim NPVIC ist nämlich folgender: Die neue Methode der Wahlmännerzuteilung wird erst dann angewandt, wenn die Wahlmännerstimmen derjenigen Staaten, die sich darauf verpflichtet haben, die magische Summe von 270 (= Mehrheit im EC) übersteigen. Damit wäre gewährleistet, dass die so verpflichteten Staaten zusammen immer die Wahl entscheiden können. Wer nicht mitmacht, wird irrelevant.

Bislang haben 4 Staaten den NPVIC ratifiziert, das entspricht 50 Wahlmännerstimmen. Fehlen also nur noch 220. Weiter so!

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