14. März 2008

Nachvollziehbare Strafzwecke und wirkkräftige gesellschaftliche Überzeugungen

Wieder einmal verweise ich auf eine aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, heute die kürzlich ergangene Bestätigung des strafrechtlich bewehrten Inzestverbots. Lesenswert daran ist vor allem die abweichende Meinung des Richters Hassemer, in der dieser mit deutlichen Worten darlegt, wie der Rest des zuständigen Zweiten BVerfG-Senats mit schwammigen Begrifflichkeiten einen moralisch begründeten, verfassungsrechtlich aber nicht tragfähigen Grundrechtseingriff absegnet. Ich zitiere mal die Highlights (Hervorhebungen von mir):
Weder eine nebulose kulturhistorisch begründete, wirkkräftige gesellschaftliche Überzeugung (sollte sie sich wirklich auf eine Strafwürdigkeit des Inzests beziehen und nicht bloß auf seine soziale Ächtung) noch eine (im Übrigen lückenhafte und vielfach divergente) Strafbarkeit im internationalen Vergleich sind imstande, eine Strafnorm verfassungsrechtlich zu legitimieren. [...] Eine "strikte Wahrung" des Verhältnismäßigkeitsgebots, auf der das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung besteht (vgl. BVerfGE 27, 344 <351>; 96, 56 <61>), kann man diesem Inzestverbot nicht bescheinigen.
[...]
Es spricht viel dafür, dass die Vorschrift in der bestehenden Fassung [...] lediglich bestehende oder auch nur vermutete Moralvorstellungen, nicht aber ein konkretes Rechtsgut im Auge hat. [...] Der Aufbau oder der Erhalt eines gesellschaftlichen Konsenses über Wertsetzungen - hier das Verbotensein des Beischlafs zwischen Geschwistern - aber kann nicht unmittelbares Ziel einer Strafnorm sein. Dazu gibt es andere und besser geeignete Mittel im Sinne des ultima-ratio-Prinzips und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit als verfassungsrechtliche Schranken strafrechtlicher Eingriffe. Die Stärkung moralischer Vorstellungen darf allenfalls - mittelbar - erwartet werden als langfristiges Ergebnis einer gerechten, klaren, rationalen und stetigen Strafrechtspflege.
[...]
Schließlich macht der Senat auch kein Hehl daraus, dass er gegen den strafrechtlichen Schutz einer "kulturhistorisch begründeten gesellschaftlichen Überzeugung" von der Strafwürdigkeit des Inzests letztlich nichts einzuwenden hat. Ich halte das für den Schutz einer gesellschaftlichen Moralvorstellung.
Da kann ich Herrn Hassemer nur zustimmen.

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