15. September 2005

Wie übersetzt man ein Gesetz?

Die Übersetzung juristischer Fachbegriffe und Texte ist ein stetig wiederkehrender Quell des Amüsements im Arbeitsalltag. Oder ein Ärgernis, je nachdem...

Wenn man mir in der Ausbildung gesagt hätte, dass ich es im öffentlichen Dienst nicht nur mit gelegentlichen Anschreiben in englischer Sprache zu tun haben würde, sondern permanent englische Normtexte und Verträge lesen und bearbeiten muss, hätte ich erwidert: Die Amtssprache ist deutsch! So steht es im Gerichtsverfassungsgesetz (§ 184), im Verwaltungsverfahrensgesetz (Art. 23 [ich arbeite in Bayern, und da hat das VwVfG Artikel, keine Paragraphen]) und anderswo.

Die Praxis sieht hingegen so aus: Die Arbeitssprache ist englisch, es sei denn, beide Seiten wollen deutsch reden. Und selbst wenn sie eigentlich deutsch reden wollen, müssen sie manchmal auf englisch ausweichen, weil der Vertrag auch noch durch die Rechtsabteilung der Konzernmutter in den USA muss, und die können leider, leider kein deutsch. Die Krönung des Theaters sind aber Verträge zwischen zwei deutschen Parteien (ohne ausländische Konzernmütter, Investoren, Wirtschaftsprüfer, Lieferanten oder was auch immer) mit einem zweifelsfrei inländischen Vertragsgegenstand, bei denen also keinerlei Auslandsberührung erkennbar ist, die aber trotzdem in englischer Sprache abgeschlossen werden. Und keiner der Beteiligten weiß einen Grund zu nennen, warum das so sein muss...

Witzigerweise bilden sich in den Zirkeln der deutsch-englischen Sprachgrenzgänger manchmal ganz eigenartige Begrifflichkeiten heraus. Diese haben ihren Ursprung in einer häufig unterschätzten Eigenart natürlicher Sprachen: Es ist (abgesehen von trivialen Fällen) unmöglich, einen Satz vollständig bedeutungsidentisch in eine andere Sprache zu übersetzen. Dies gilt erst recht bei juristischen Texten, also auch beim juristischen Text schlechthin, dem Gesetzestext. Aus nachvollziehbaren Gründen gibt es Gesetze meistens nur in einer einzigen verbindlichen Sprachfassung (eine Ausnahme stellen hier mehrsprachige Länder wie die Schweiz oder das Recht der Europäischen Union dar - bei diesen sind alle Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich). Daher kann man, will man in einem Vertrag oder sonstigen juristischen Text auf ein Gesetz Bezug nehmen, innerhalb eines fremdsprachigen Textes den amtlichen deutschen Titel verwenden. Dies führt dann zu so eleganten Formulierungen wie "... in accordance with § 40 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 Arzneimittelgesetz ...". Oder aber man umschreibt den deutschen Titel, 'übersetzt' dabei auch gleich noch die Bezeichnungen für die Textgliederungseinheiten und kommt zu: "Section 40 para. 1 no. 8, para. 3 of the German Drug Law". Hübsch, nicht?

Für den unbefangenen deutschen Leser, der denken mag, im Arzneimittelgesetz sei jetzt auch die Abgabe von Drogen geregelt, sei zunächst erwähnt, dass "drug" im Englischen einen sehr viel weiteren Bedeutungsgehalt hat als "Droge" im Deutschen. Insbesondere gehören dazu eben auch Arzneimittel. (Was, nebenbei bemerkt, den wunderbaren Begriff "orphan drugs" erklärt: Hierbei handelt es sich nicht etwas um Drogen für Waisenkinder, sondern um Arzneimittel für besonders seltene Krankheiten.)

Das Problem an dieser Übersetzung liegt aber an anderer Stelle: Die wörtliche Übersetzung "Gesetz" -> "Law" ist nämlich etwas fragwürdig, wenn es um ein einzelnes Gesetz geht (im Gegensatz zum abstrakten Oberbegriff "das Gesetz" ). Im englischen oder US-amerikanischen Sprachgebrauch heißt ein einzelnes Gesetz meistens "act" oder "code" (wobei letzteres eher für sog. Kodifikationen verwendet wird, also umfassende Regelungen eines ganzen Themengebiets, vergleichbar etwa dem hiesigen BGB). Die Bezeichnung "Drug Act" wäre daher wohl passender.

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