27. September 2005

Legalanglizismen - Teil 2

Da stechen mir doch in dem gerade schon zitierte Vertrag noch zwei weitere Schmankerl in die Augen, die muss ich gleich noch anbringen:

1. "... alle geltenden kommunalen, staatlichen und Bundesgesetze ..."

So eine Formulierung deutet darauf hin, dass ein Vertrag über den Atlantik übersetzt wurde. Im Original hieß es hier nämlich stimmigerweise: "any and all applicable local, state and federal laws". Also im Ergebnis schlicht: alle anwendbaren Gesetze. Die deutsche Übersetzung klingt dann allerdings arg holprig. Denn zum einen gibt es keine "kommunalen Gesetze" (höchstens im materiellen Sinn, das wären dann kommunale Satzungen oder Verordnungen), zum anderen ist es in diesem konkreten Fall so, dass die betreffende Materie komplett im Bundesrecht geregelt ist, also gibt's hier auch keine "staatlichen Gesetze" (was man an sich sowieso zutreffenderweise als "Landesgesetze" lesen müsste, denn 'staatlich' sind alle Gesetze). Wie wäre es einfach mit "alle anwendbaren Gesetze"? Ist wohl zu simpel.

2. "... jede Behörde mit der zuständigen Jurisdiktion ..."

Auweia, hier stimmt ja gar nix mehr. Man merke: Jurisdiktion ist nicht gleich jurisdiction. Ganz und gar nicht! Jurisdiktion meint im allgemeinen "Rechtsprechung" (als Abstraktum bzw. Bezeichnung der Dritten Gewalt). Hingegen kann "jurisdiction" alles mögliche bedeuten, im Dietl/Lorenz gibt es über ein Dutzend Hauptstichworte zu dem Begriff! In diesem konkreten Fall ist wohl am ehesten (örtliche und sachliche) "Zuständigkeit" gemeint. Korrekt müsste es also heißen "jede zuständige Behörde". Ist doch gleich viel verständlicher, oder?

Titelerklärung (& Legalanglizismen - Teil 1)

Falls sich jemand schon mal gefragt haben sollte, was eigentlich der Titel dieses Blogs bedeutet, hier ist die Erläuterung:
Englische Juristen sind regelrecht vernarrt in die Formulierung "without being limited to", die als einschränkende Einleitung vor Beispielen benutzt wird. Steht also beispielsweise in einem Vertrag, dass ein Vertragspartner eine bestimmte generelle Verpflichtung hat, und werden hierfür zur Erläuterung ein paar konkrete Beispiele angegeben, dann fügt der englische Jurist vor den Beispielen ein WBLT ein.

Warum macht er das? Weil irgendein englischer Richter vor vielen Jahrhunderten mal entschieden hat, dass die Nennung von Beispielen als Einschränkung eines vorangegangenen allgemeinen Begriffs auszulegen sei. Schriebe der englische Jurist also beispielsweise "taxes, including sales tax", so wäre der Anwendungsbereich auf die "sales tax" beschränkt und alle anderen Steuern ausgenommen. Dabei wollte er doch nur ein Beispiel nennen, das vielleicht für den konkreten Anwendungsfall besonders relevant wäre, ohne dabei aber alle anderen Steuern unbedingt gleich auszuschließen. Um dieser dämlichen Rechtsprechung zu umgehen (die nach englischer Rechtstradition Präzedenzwirkung hat und somit den gleichen Effekt wie ein geschriebenes Gesetz), muss man also ausdrücklich deutlich machen, dass die Nennung von Beispielen gerade keine Einschränkung einer generellen Aussage beinhalten soll. Also nur genau das, was man nach dem normalen Sprachgefühl sowieso erwarten würde - sowohl im Englischen als auch im Deutschen.

Während die englischen Juristen sich an ihr kleines WBLT im Laufe der Zeit gewöhnt haben und meistens auch noch wissen, warum sie es überhaupt verwenden, ist es außerhalb des angelsächsischen Rechtskreises völlig überflüssig. Nach deutschem Recht beispielsweise gelten die allgemeinen Regeln der Auslegung (§§ 133, 157 BGB usw.), und keiner käme auf die Idee, eine so idiotische Auslegungsregel zu konstruieren. Wenn ich also einen deutschen Vertrag schreibe, dann brauche ich kein WBLT!!! Trotzdem wird es gerne und exzessiv verwendet und führt zu so eleganten Formulierungen wie "... behält alle Aufzeichnungen, einschließlich aber ohne Einschränkung Rechenschaftsberichte, Notizen, ..." (wörtlich aus einem Originalvertrag zitiert). Dies kann zweierlei bedeuten: Entweder man hat mal wieder völlig willenlos einen englischen Vertrag Wort für Wort ins Deutsche übersetzt (so in diesem konkreten Fall geschehen), oder ein angelsächsisch infizierter deutscher Jurist - pardon: legal counsel - hat seinen Gedankenschwall nicht zurückhalten können. Beides ist, bei Lichte besehen, eigentlich nur traurig, beschert mir aber wenigstens immer wieder Momente der Heiterkeit im Büroalltag. [Fortsetzungen folgen]

19. September 2005

Wer SPD will, muss CDU wählen

Das deutsche Wahlrecht macht es möglich: Wer einer Partei schaden will, muss sie nur wählen!

Damit ist nicht etwa darauf angespielt, dass sich die F.D.P. mit knapp unter zehn Prozent schier zu Tode gesiegt hat. Gemeint ist vielmehr der wunderbare Effekt des negativen Stimmengewichts, auf den die schlauen Jungs von www.wahlrecht.de schon seit Jahren nimmermüde hingewiesen haben. Vermutlich werden wir in den nächsten Tagen sukzessive zusehen dürfen, wie uns ein Medium nach dem anderen erklärt, was es damit auf sich hat, bevor Stefan Raab am Abend des 1.10. eine Telefonumfrage macht, um herauszufinden, wen die Dresden-Einser dieses Mal nicht wählen. Für alle, die es jetzt gleich und fundiert erklärt haben wollen: Hier steht's.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Oder: Schröder oder das Chaos.

Mancher mag ja denken: "Weiter Schröder = noch mehr Chaos". Aber das Auftreten des Kanzlers am Wahlabend und die - rechnerisch wie politisch - denkbaren Mehrheitsmodelle lassen nur zwei Schlüsse zu:

1. Schröder setzt darauf, Merkel mit gezielten Sticheleien mürbe zu machen. Wenn man gestern abend ihr Gesicht beobachtete, als Schröder mit aller Selbstverständlichkeit ankündigte, die SPD werde auf keinen Fall in eine große Koalition mit Merkel einsteigen, kann man durchaus zur Auffassung gelangen, dass dieser Teil des Plan bereits aufgeht. Und im Hintergrund höre ich schon den Koch die Messer wetzen...

2. Wenn Merkel erst mal weg ist, kann man so schnell wie möglich (sprich: bevor die Diadochenkämpfe in der Union einen Sieger gefunden haben) den Bundestag erneut auflösen. Im Gegensatz zur Situation im Sommer ginge das diesmal sogar recht einfach und elegant. Denn wenn weder die FDP in Richtung Ampel umfällt, noch die Grünen in Richtung Schwampel, dann hätte nur eine große Koalition eine Mehrheit im Parlament. Die aber gibt es nur, wenn gleichzeitig Merkel und Schröder die Oberhand behalten - ein Ding der Unmöglichkeit. Egal wen also der Bundespräsident dann als Bundeskanzler vorschlägt, er oder sie wird keine Mehrheit finden. Bei einer hinkenden Wahl im dritten Wahlgang steht also die Möglichkeit einer Parlamentsauflösung im Raum. Und nun frage man sich mal, was Bundespräsident Köhler wohl täte, stünde er vor der Wahl, einen Kanzler ohne Mehrheit zu ernennen oder ein zweites Mal "vor den Souverän zu treten". Köhler ist kein Freund einer Minderheitsregierung, egal unter wem.

Man muss das alles nicht wirklich schön finden (oder "ziehlführend", wie mein Chef sagen würde), aber amüsant ist es allemal.

16. September 2005

Wie übersetzt man ein Gesetz? (Fortsetzung)

Gerade ist mir (mal wieder) ein schönes Beispiel für die Schwierigkeit, einen Gesetzestitel zu übersetzen, auf den Tisch geraten: Wie übersetzt man das "Gesetz über Arbeitnehmererfindungen"? Die Schwierigkeiten fangen schon damit an, dass für das Gesetz bereits im Deutschen verschiedene Titel verwendet werden. Neben dem genannten offiziellen Titel wird üblicherweise die Kurzform "Arbeitnehmererfindungsgesetz" verwendet, auch "Arbeitnehmererfindergesetz" habe ich schon des öfteren gesehen.

Mein persönlicher Favorit für die Übersetzung ist kurz und knapp "Employee Inventions Act". Dies kann man unter Hinzufügung oder Streichung von Genitiv- und Pluralindikatoren beliebig variieren:
  • Employees Inventions Act
  • Employee's Invention Act
  • Employees' Inventions Act
  • usw. ...
Man sieht: Dem Erfindungsreichtum sind keine Grenzen gesetzt.

Was mir nicht besonders gefällt ist "Employee Inventors Act", da hier der falsche Kurzbegriff "Arbeitnehmererfindergesetz" übersetzt wird. Aber im Ergebnis ist das alles sowieso völlig egal, da eh jeder weiß, was gemeint ist, und es letzten Endes nicht auf den Titel, sondern auf den Inhalt ankommt. Und der bereitet natürlich die eigentlichen juristische Probleme.

15. September 2005

Wie übersetzt man ein Gesetz?

Die Übersetzung juristischer Fachbegriffe und Texte ist ein stetig wiederkehrender Quell des Amüsements im Arbeitsalltag. Oder ein Ärgernis, je nachdem...

Wenn man mir in der Ausbildung gesagt hätte, dass ich es im öffentlichen Dienst nicht nur mit gelegentlichen Anschreiben in englischer Sprache zu tun haben würde, sondern permanent englische Normtexte und Verträge lesen und bearbeiten muss, hätte ich erwidert: Die Amtssprache ist deutsch! So steht es im Gerichtsverfassungsgesetz (§ 184), im Verwaltungsverfahrensgesetz (Art. 23 [ich arbeite in Bayern, und da hat das VwVfG Artikel, keine Paragraphen]) und anderswo.

Die Praxis sieht hingegen so aus: Die Arbeitssprache ist englisch, es sei denn, beide Seiten wollen deutsch reden. Und selbst wenn sie eigentlich deutsch reden wollen, müssen sie manchmal auf englisch ausweichen, weil der Vertrag auch noch durch die Rechtsabteilung der Konzernmutter in den USA muss, und die können leider, leider kein deutsch. Die Krönung des Theaters sind aber Verträge zwischen zwei deutschen Parteien (ohne ausländische Konzernmütter, Investoren, Wirtschaftsprüfer, Lieferanten oder was auch immer) mit einem zweifelsfrei inländischen Vertragsgegenstand, bei denen also keinerlei Auslandsberührung erkennbar ist, die aber trotzdem in englischer Sprache abgeschlossen werden. Und keiner der Beteiligten weiß einen Grund zu nennen, warum das so sein muss...

Witzigerweise bilden sich in den Zirkeln der deutsch-englischen Sprachgrenzgänger manchmal ganz eigenartige Begrifflichkeiten heraus. Diese haben ihren Ursprung in einer häufig unterschätzten Eigenart natürlicher Sprachen: Es ist (abgesehen von trivialen Fällen) unmöglich, einen Satz vollständig bedeutungsidentisch in eine andere Sprache zu übersetzen. Dies gilt erst recht bei juristischen Texten, also auch beim juristischen Text schlechthin, dem Gesetzestext. Aus nachvollziehbaren Gründen gibt es Gesetze meistens nur in einer einzigen verbindlichen Sprachfassung (eine Ausnahme stellen hier mehrsprachige Länder wie die Schweiz oder das Recht der Europäischen Union dar - bei diesen sind alle Sprachfassungen gleichermaßen verbindlich). Daher kann man, will man in einem Vertrag oder sonstigen juristischen Text auf ein Gesetz Bezug nehmen, innerhalb eines fremdsprachigen Textes den amtlichen deutschen Titel verwenden. Dies führt dann zu so eleganten Formulierungen wie "... in accordance with § 40 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 3 Arzneimittelgesetz ...". Oder aber man umschreibt den deutschen Titel, 'übersetzt' dabei auch gleich noch die Bezeichnungen für die Textgliederungseinheiten und kommt zu: "Section 40 para. 1 no. 8, para. 3 of the German Drug Law". Hübsch, nicht?

Für den unbefangenen deutschen Leser, der denken mag, im Arzneimittelgesetz sei jetzt auch die Abgabe von Drogen geregelt, sei zunächst erwähnt, dass "drug" im Englischen einen sehr viel weiteren Bedeutungsgehalt hat als "Droge" im Deutschen. Insbesondere gehören dazu eben auch Arzneimittel. (Was, nebenbei bemerkt, den wunderbaren Begriff "orphan drugs" erklärt: Hierbei handelt es sich nicht etwas um Drogen für Waisenkinder, sondern um Arzneimittel für besonders seltene Krankheiten.)

Das Problem an dieser Übersetzung liegt aber an anderer Stelle: Die wörtliche Übersetzung "Gesetz" -> "Law" ist nämlich etwas fragwürdig, wenn es um ein einzelnes Gesetz geht (im Gegensatz zum abstrakten Oberbegriff "das Gesetz" ). Im englischen oder US-amerikanischen Sprachgebrauch heißt ein einzelnes Gesetz meistens "act" oder "code" (wobei letzteres eher für sog. Kodifikationen verwendet wird, also umfassende Regelungen eines ganzen Themengebiets, vergleichbar etwa dem hiesigen BGB). Die Bezeichnung "Drug Act" wäre daher wohl passender.

10. September 2005

Und los...

Hurra, dies ist die erste Wortmeldung in meinem neuen Blog. ;-)
Ich stelle mir das so vor, dass dies in erster Linie ein Blawg sein soll, d.h. es geht hier um juristische Themen (im weitesten Sinne). Was im übrigen daraus wird ... Schau mer mal.